Sicherheitssysteme im Auto verzögern RettungsaktionÖAMTC und Feuerwehr fordern Einführung von Rettungskarten in Neuwagen
Seit den 90er Jahren hat sich die Fahrzeugsicherheit rasant weiterentwickelt. Für Unfallopfer ist damit die Überlebenschance nach einem schweren Crash maßgeblich gestiegen. „Leider hat jede Medaille auch eine Schattenseite“, sagt ÖAMTC-Cheftechniker Max Lang anlässlich einer Pressekonferenz gemeinsam mit dem Österreichischen Bundesfeuerwehrverband. „Crashsichere Autos sind für die Retter der Feuerwehr schwerer zu knacken.“ Vor allem beim Schneiden der Fahrzeuge stehen die Einsatzkräfte vor neuen Herausforderungen. „Die Rettung von Verletzten unter Einsatz von hydraulischem Rettungs- und Bergegerät wird schwieriger und zeitaufwändiger, weil der Widerstand der Karosserie gegen die Geräte größer geworden ist“, erläutert der Präsident des Österreichischen Bundesfeuerwehrverbandes, Josef Buchta. „Es können sogar von modernen Sicherheitssystemen Gefahren für Opfer und Retter ausgehen.“
Wo früher ein fast beliebiger Schnitt mit der Bergeschere das Opfer befreit hat, ist heute exaktes Wissen über den jeweiligen Karosserie- und Elektronikaufbau des Fahrzeugmodells nötig. „Es gibt für jedes Fahrzeugmodell sogenannte ‚Rettungsleitfäden'“, erläutert der ÖAMTC-Cheftechniker. Für die Feuerwehren ist es allerdings unmöglich, ständig aktuelle Pläne aller Automarken im Einsatz parat zu haben, um schnell den optimalen Ansatzpunkt für die Rettungsgeräte zu finden. Die Hauptforderung von ÖAMTC und Feuerwehr: Alle Automobilhersteller müssen diese Rettungsinformationen für jedes Pkw-Modell einheitlich auf einem DIN-A4-Blatt zusammenfassen und ab sofort in allen Neufahrzeugen im Bereich der Fahrer-Sonnenblende einlegen.
Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigen die Einsatzstatistiken der Feuerwehr: „Die Einsätze nach Verkehrsunfällen steigen kontinuierlich – nämlich von 2005 auf 2008 um 37 Prozent. Alleine von 2007 auf 2008 sind die Verkehrseinsätze um 17 Prozent gestiegen“, so Buchta.
In modernen Fahrzeugen werden hochwertige Materialien, Stähle mit sehr hohen Zugfestigkeiten, verbesserte Konstruktionen der Fahrgastzelle und eine Vielzahl an Sicherheitssystemen zum optimalen Schutz der Insassen eingesetzt. Gleichzeitig werden neue Antriebsmodelle wie Gas- oder Hybridmotoren entwickelt. Damit gibt es eine steigende Anzahl an Komponenten, die beim Rettungseinsatz beachtet werden müssen, zum Beispiel Batterielage, Gasgeneratoren in Fahrzeugdach/Fahrzeugsäulen etc. Die Schwierigkeit: Je nach Fahrzeughersteller befinden sich alle diese Komponenten an den verschiedensten Positionen im Fahrzeug. Die Lokalisation ist eine schier unlösbare Aufgabe für die Retter, die unter massivem Zeitdruck stehen. Sind bei einem Verkehrsunfall innere Organe verletzt, steigt das Sterblichkeitsrisiko ohne Behandlung im Dreiminutentakt um ein Prozent.
Besondere Problembereiche bei der Opferbefreiung
Wie lange die Befreiung eines Patienten dauert, hängt vom Ansatzpunkt des hydraulischen Rettungsgeräts und einer schnellen Fußraumerweiterung ab. „Die Geometrie und die Werkstoffe der Fahrzeug-Dachholme geben vor, ob und wie mit der Hydraulikschere geschnitten werden kann“, erklärt der ÖAMTC-Cheftechniker. Besonders die massiv versteifte B- und die oft sehr stark ausgeformte C-Säule bereiten den Rettungskräften Probleme. Das kann soweit gehen, dass die von den Feuerwehren eingesetzten hydraulischen Rettungsscheren an ihre Leistungsgrenzen kommen. Ähnlich verhält es sich bei der Spreizung des Fahrzeugs. Die häufigsten Probleme treten bei der Fußraumerweiterung auf. „Es gibt einen bestimmten Druckpunkt, an dem der Rettungszylinder angesetzt werden muss“, erklärt Lang.
Sogar Sicherheitskomponenten wie der Airbag können für Unfallopfer und Retter zur potenziellen Gefahr werden. „Wird ein Schnitt falsch angesetzt und beispielweise der Gasgenerator eines Kopfairbags beschädigt, kann das fatale Folgen haben, wenn der Airbag plötzlich auslöst“, so der ÖAMTC-Cheftechniker. Auch die eingesetzten Batterien führen manchmal zu Rettungsproblemen. Sie müssen rasch lokalisiert und abgeklemmt werden, damit der Stromfluss unterbrochen ist.
Das kann eine „Rettungskarte“
Um die angeführten Probleme zu vermeiden, müssen die Retter schnellstmöglich über Karosserie und verbaute Elemente Bescheid wissen. „Die erste Herausforderung bei schweren Unfällen ist, das Fahrzeugmodell zu identifizieren“, so der ÖAMTC-Experte. „Die größte Wahrscheinlichkeit, an Informationen zu kommen, hat man über die Windschutzscheibe. Deshalb sollte die Rettungskarte auch in diesem Bereich aufbewahrt werden.“ Auf der Karte befinden sich nicht nur die Fahrzeugmarke, sondern auch Angaben zu Lage und Anzahl der Batterien, Lage von Airbags und Sensorik, Lage von Gasgeneratoren und Gurtstraffern sowie eine Angabe zu den Verstrebungen und Versteifungen in der Karosserie. „Diese Rettungskarten gibt es bereits, sie sind aber nur als Handbücher verfügbar, und damit für den Ernstfall unbrauchbar“, kritisiert der ÖAMTC-Cheftechniker. „Diese Infos gehören ins Auto. Das muss Standard werden.“
Quelle: ÖAMTC